In
den Jahren 1997/98 stand die Stadt Chemnitz vor der schwierigen Aufgabe,
eine Rahmenplanung für das Schulnetz der Stadt Chemnitz bis zum Jahre
2010 aufzustellen. Hierbei mußte leider der sinkenden Schülerzahl Rechnung
getragen und zahlreiche Schulstandorte aufgegeben werden. Nach anfänglichen
Turbulenzen kam es im Jahre 1998 zu einer konstruktiven Zusammenarbeit
aller, den Entscheidungsprozeß beeinflussenden Kräfte. Diese Zusammenarbeit
ermöglichte letztlich die Verabschiedung einer Rahmenplanung, welche
von allen Seiten mitgetragen werden konnte. Heute, nicht einmal drei
Jahre später, ist diese, mühsam erarbeitete Rahmenplanung, laut Aussage
der Stadtverwaltung Chemnitz, infolge neuer "... verbindlicher
Vorgaben des Sächsischen Ministeriums für Kultus ..." nicht mehr
zutreffend.
1998 fand eine Interessenabwägung zwischen einer wirtschaftlich günstigen und einer für die Schulkinder und Eltern vertretbaren Lösung statt. Heute dagegen läßt die Ausrichtung der Schulnetzplanung nach einem generellen Klassenteiler von 25 Kinder/Klasse und einer Zweizügigkeit für Grundschulen, sowie die Vorgabe der Trennung kombinierter Grund- und Mittelschulstandorte aus Sicht des Kreiselternrates nur noch eine rein auf kurzfristige wirtschaftliche Effizienz ausgerichtete Planung zu, welche weitgehend keine Rücksicht auf die Befindlichkeiten der Schüler und Eltern ( z.B.: vernünftige, überschaubare Schulweggestaltungen) nehmen kann. Eine verbindliche Begrenzung der Lehrerzahl entsprechend einem Klassenteiler von 25 Kindern/Klasse dürfte darüber hinaus, wenn dies vom Sächsischen Ministerium für Kultus tatsächlich so gewollt ist, nach Kenntnisstand des Kreiselternrates angesichts der gesetzlich vorgeschriebenen Mindestteilerzahl von 15 Kindern/Klasse ohne Gesetzesänderung nicht durchsetzbar sein.
Nach Ausbau
wesentlicher Bereiche der Infrastruktur (Straßen, Medien, Behörden)
wurde durch das Sächsischen Ministeriums für Kultus nun auch auf den
Infrastrukturbestandteil "Schulen" verstärktes Augenmerk gelegt,
was sich in der Auflegung des Schulhausbausonderförderprogramm widerspiegelt.
Der Kreiselternrat erkennt in der Aufsetzung des Schulhausbausonderförderprogramm
einen richtigen und notwendigen Ansatz, die Rahmenbedingungen (Klassenteiler/Zügigkeit)
aber, sofern sie als bindend angesehen werden müssen, werden als ungeeignet
für eine gesunde Schulentwicklung in unserer Stadt eingestuft.
Der Kreiselternrat
Chemnitz erklärt deshalb, daß aus seinem derzeitigen Erkenntnisstand,
die Vorgaben des Sächsischen Ministeriums für Kultus, sofern verbindlich,
keine gesamtwirtschaftliche Bezugsbasis haben und ihre Umsetzung flächendeckend
in Chemnitz ohne gravierende Einschnitte in der Lebens- und Bildungsqualität
sowie mit tendenziös negativen Auswirkungen auf die gesamtwirtschaftliche
Entwicklung der Region nicht möglich ist. Eine Zustimmung zu der vorliegenden
Gesamtkonzeption erscheint deshalb dem Kreiselternrat derzeit als nicht
vertretbar gegenüber den Kindern, Eltern und der gesamten Region und
möchten deshalb unseren Oberbürgermeister, die Stadträte und die Stadtverwaltung
auffordern, sich im Interesse unserer Stadt stark zu machen und (z.B
in ähnlicher Weise wie der Bautzner Landrat dies für seinen Landkreis
bereits getan hat) mit einem Gegenkonzept der Landesregierung entgegenzutreten.
Gleichzeitig bekundet der Kreiselternrat Chemnitz starkes Interesse
an der gemeinsamen Erarbeitung einer Neukonzeption auf der Basis eines
Kompromisses zwischen wirtschaftlichen Klassenteiler/Zügigkeit und der
deutlichen Berücksichtigung der Verhältnisse vor Ort. Einen vernünftigen
Ausgangspunkt hierfür sieht der Kreiselternrat in der bis heute noch
aktuellen Rahmenplanung von 1998 und in dem der Pressemitteilung beigefügten
Alternativvorschlag.
Der Kreiselternrat Chemnitz
Begründung:
Der Kreiselternrat
möchte klarstellen, daß er sich nicht generell gegen Klassenstärken
von 25 Kindern und Zweizügigkeit von Grundschulen stellen wird. Viele
der Eltern können sind noch gut daran erinnern, zu Ihrer Schulzeit weitgehend
problemlos in Klassen mit ähnlichen und höheren Klassenstärken bei bis
zu vier Parallelklassen aufgewachsen zu sein. Dem Kreiselternrat erscheint
es im Gegenteil durchaus hinnehmbar, daß aus wirtschaftlichen Gründen
an Standorten mit sehr hoher Bevölkerungsdichte auch höhere Klassenstärken
und Mehrzügikeit angestrebt wird, sofern dort dafür die entsprechenden
Voraussetzungen vorhanden sind.
Festzustellen
aber ist, daß Chemnitz nicht (mehr) in der Situation ist, im Wesentlichen
aus derartigen Ballungsbereichen zu bestehen. Insbesondere durch die
Eingemeindung neuer Gemeinden bei effektiv weiter sinkender Bevölkerungszahl
erfolgte eine dramatisch Veränderung weg von derartigen Ballungszentren
zu Großflächigkeit und Zergliederung. Dieser Tatsache kann aber ein
genereller Teiler von 25 Kinder/Klasse in keinster Weise Rechnung
tragen, da insbesondere in allen Randgebieten und Neueingliederungen
das Schüleraufkommen nur Klassenteiler deutlich unter 25 Kinder zuläßt,
von Zweizügigkeiten im Grundschulbereich wollen wir gar nicht erst reden.
Der Kreiselternrat
erkennt an, daß sich die Stadt Chemnitz und der Schulausschuß im Stadtrat
lange und intensiv mit dieser Neukonzeption auseinander gesetzt hat,
bedauert es aber gleichzeitig, daß u.a. bedingt durch die Nichtöffentlichkeit
des Schulausschusses, der Kreiselternrat erst seit letzter Woche aktiv
werden konnte. Damit ist aus Sicht des Kreiselternrates, gerade in dieser,
für das Schulsystem unserer Stadt extrem relevanten Situation, leider
von dem in den letzten Jahren erfolgreich praktizierten Weg abgewichen
wurden, bei welchem der Elternrat rechtzeitig vor Schulschließungen,
Schulbezirksänderungen u.s.w. gehört und in derartige Entscheidungen
weitgehend eingebunden wurde!
Seit 1989
hat sich die Zahl der Einwohner Chemnitz trotz Eingemeindungen von ca.
330000 auf ca. 260000 bis 270000 verringert. War der Wegzug anfangs
fast ausschließlich in dem akuten Arbeitsplatzmangel begründet, ist
dies aus unserer Sicht heute nicht mehr der Fall. Für junge, dynamische
und gut ausgebildete Fachleute ist durchaus auch in Chemnitz ein großer
Bedarf. Auch die Verdienstmöglichkeiten haben sich zum Teil für diese
Gruppen verbessert. Dennoch ist vor allem ein ungebremster Wegzug junger
Einwohner zu verzeichnen. Dies drückt sich u.a. darin aus, daß der Anteil
Kinder/Jugendlichen zur übrigen Bevölkerung trotz wieder steigender
Geburtenzahlen permanent fällt. Von 1988/89 bis heute wurde ein wesentlich
höherer Prozentsatz an Schulen geschlossen, als jener, um welchen sich
die Einwohnerzahl verringert hat, was eindeutig darauf schließt, daß
die Anzahl junger Menschen überproportional abnimmt. Einen derartigen
Verlust an jungen Menschen kann sich unsere Region nach unserer Auffassung
auf Dauer nicht mehr leisten. Geburtenrückgang und Abwanderung sind
zwar die Ursachen für diese Entwicklung, die Gründe hierfür liegen jedoch
tiefer.
Die heutige globale Gesellschaft fordert von allen, im berufsfähigen Alter befindlichen Menschen höchste Flexibilität. Der Beruf und das Arbeitsleben bestimmen in immer größeren Maße die Tagesabläufe. Die Höhe der Löhne und Gehälter machen es insbesondere in den neuen Bundesländern i.d.R. unabdingbar, daß beide Ehepartner arbeiten müssen. Hinzu kommt, daß die Frauen in den neuen Bundesländern derzeit wesentlich zahlreicher befähigt und willig sind, sich aktiv am Berufsleben zu beteiligen. Die Vergrößerung der Schulwege bei eindeutiger Vorgabe der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel (keine Schulbusse) zwingt immer mehr Eltern die Frage auf: Kann ich meinem Kind diesen neuen Schulweg allein gehen lassen oder ist das Sicherheitsrisiko für mich als Eltern nicht mehr vertretbar? Hierdurch würden viele Eltern in die mißliche Zwangslage gebracht werden, zwischen Ihrer Verantwortung für Ihr Kind und Ihrer Arbeitsstelle abzuwägen. Die Konsequenzen wären fatal. Die Eltern, welche sich zu Gunsten Ihrer Kinder aus dem Berufsleben verabschieden müssen, belasten zusätzlich die Arbeitslosenversicherung oder Sozialkassen, die übrigen müssen mit der ständigen Angst leben, daß ihren Kindern etwas passieren kann. Gleichzeitig würden hierdurch eindeutige negative Signale an alle diejenigen gesendet, welche noch vor der Entscheidung für ein Kind stehen. Diese Paare haben noch die Möglichkeit, wirtschaftliche Einschränkungen oder Gewissensbisse zugunsten eines Verzichtes auf Kinder zu vermeiden.
Weltweit besteht
trotz Arbeitslosigkeit ein ungebremster Bedarf an flexiblen, dynamischen
und gut ausgebildeten Fachleuten und Spitzenkräften in Wissenschaft
und Technik. Chemnitz, als solider, wieder aufstrebender Industriestandort
in den neuen Bundesländern, stellt hierbei keine Ausnahme dar. Diese
Fachleute und Spitzenkräfte haben heute ausreichend Möglichkeiten auszusuchen,
in welchem Land, Bundesland oder in welcher Stadt sie arbeiten und leben
möchten. Längst wird bei dieser Wahl nicht nur das perspektivische Einkommen
sondern auch die Entwicklungsmöglichkeiten und die Lebensqualität des
Umfeldes mit herangezogen. Gerade bei jungen Fachkräften spielen hierbei
nicht nur Einkaufs- und Erlebnismeilen eine Rolle, sondern die Rahmenbedingungen
für das Aufbauen und Gestalten eines Familienlebens, z.B.: die Anzahl,
Qualität und Nähe von Kindereinrichtungen, Schulen, Freizeitbereichen,
etc..
Der derzeitige
Bauzustand vieler Schulen läßt stark zu wünschen übrig. Viel Geld wird
nötig sein, um hier flächendeckend wesentliche Fortschritte zu erreichen.
Der Kreiselternrat ist nicht so vermessen dies nicht zu erkennen.
In den letzten
Jahren erfolgte flächendeckend in Sachsen der Ausbau der Verwaltungseinrichtungen.
Dies war notwendig für das Funktionieren der Gesellschaft. Das Straßen-
und Mediennetz hat sich deutlich verbessert. Dies ist gut für die Wirtschaft.
Die Innenstädte und Altbaugebiete wurden mit Zuschüssen saniert und
weiterentwickelt. Dies ist alles gut und notwendig.
Bei den Schulen
jedoch beschränkten sich die Investitionen in den letzten Jahren im
Wesentlichen auf Einrichtungsgegenstände und Notreparaturen sowie Maßnahmen
der Hygiene und des baulichen Brandschutzes. Ein gewaltiger Investitionsbedarf,
welcher mit jedem Jahr noch wächst, wurde hier, infolge bisheriger anders
gesetzter Prioritäten, vor sich hergeschoben. Leider muß aber heute
festgestellt werden, daß die Mittel im Gesamthaushalt des Landes und
der Kommunen immer knapper werden, die Gesellschaft folglich sparen
soll und muß.
Da jede geschlossene
Schule zum Einen den kompletten Wegfall der Sanierungs- und Unterhaltungsmittel
bedeutet und zum Anderen aber eventuell sogar noch Verkaufserlöse erzielt,
gleichzeitig sinkende Lehrerzahlen durch höhere Klassenteiler größere
Gehaltseinsparungen bedeuten, werden angesichts des notwendigen Sparwillens
hier verständlicherweise Begehrlichkeiten geweckt.
Der Kreiselternrat
vertritt hier aber die Auffassung, daß es sich bei den Schulen um klare
Elemente der Infrastruktur handelt, diese also genauso, wie der bisher
erfolgreich betriebene Ausbau der Straßen, Medien etc., in der Prioritätenliste
an oberster Stelle angeordnet werden müssen. Dies heißt zwar nicht,
daß jede Schule gleich auf den neuesten Stand gebracht werden muß und
kann. Dies heißt aus Sicht des Kreiselternrates auch nicht, daß Schulschließungen
i.d.F. vermeidbar sind. Dies heißt aber schon, daß wir die Schulen nach
der Situation vor Ort zu beurteilen haben und nicht nach scheinbar wirtschaftlichen
Klassenteilern und Zügigkeiten.
Der Kreiselternrat
erkennt in der Aufsetzung des Schulhausbausonderförderprogramm einen
richtigen und notwendigen Ansatz, die Rahmenbedingungen hierfür aber
werden als nicht zweckdienlich eingestuft.
Als Alternative
würde der Kreiselternrat u.a. folgende Lösungsvorschläge unterbreiten:
1. Neufestlegung der zu erhaltenden Schulen, auf der Basis der örtlichen und gesetzlichen Ge- gebenheiten. Hierbei sollten vordergründig die Grund- und Mittelschulen in den Außenbe- reichen entsprechend derzeitig bestehender Beschlußlage belassen werden. Überholte Be- darfssituationen sollten entsprechend korrigiert (ggfs. durch Schulschließungen oder Schul-
2. Alle in der neu zu erstellenden Konzeption erfaßten Schulen sollten in eine Prioritätenliste eingetragen werden. An oberster Stelle sollten hier die Schulen stehen, welche absehbar Be- stand haben werden, sowohl weil die Stadt Chemnitz dies will, als auch weil die Schule von Kindern und Eltern entsprechend angenommen wird. Später sollten die Schulen folgen, wel- che wahrscheinlich Bestand haben werden usw. bis letztlich zu den Schulen, deren Erhalt wünschenswert, aber infolge Schüleraufkommen unsicher ist.
3. Entsprechend der Stellung in der Prioritätenliste sollten alle Investitionsmaßnahmen aufgeli- stet und mit den oberst eingeordneten Schulen komplex begonnen werden. Zur Effektivie- rung der Baumaßnahmen sollte für die Zeit des Umbaus eine größere zentral gelegene, aber zur Schließung vorgesehene Schule als Ausweichschule mit Einrichtung eines Schülerver- kehrs (ggfs. auch Einrichtung zeitweiliger Nahverkehrslinien) eingerichtet werden. Bei den an unterster Stelle der Prioritätenliste eingeordneten Schulen sollte sich i.d.F. weiterhin nur ausschließlich auf die den Unterrichtsablauf absichernde bauliche und sonstige Maßnahmen konzentriert werden.
4. Jährlich
sollte die Prioritätenliste gemeinsam von Schulverwaltungsamt, Schulausschuß
und Kreiselternrat geprüft und bei Veränderungen an die tatsächlichen
Gegebenheiten angepaßt werden.
Aus Sicht des
Kreiselternrates gewährleistet diese Lösung sowohl den schnellstmöglichen
Beginn der ersten Komplexsanierungen und die Zuführung der Investitionen
zu wirklich dauerhaft zu erhaltenden Schulen, als auch den längstmöglichen
Erhalt eines flächendeckenden Schulnetzes mit den geringstmöglichen
Schulwegen.
Abschließend
möchte der Kreiselternrat darauf hinweisen, daß der Bautzner Landrat,
Herr Horst Gallert, nach intensiven Recherchen an den Schulen seines
Landkreises und der Einteilung seines Einzugsgebietes in Planungsregionen
durch regional individuelle Lösungsvarianten - von der einzügigen Mittelschule
über den Schulverbund bis hin zum Mittelschulzentrum - dem Sächsischen
Ministerium für Kultus ein fundamentiertes Gegenkonzept vorgelegt
hat.
Es wäre
wünschenswert wenn dies in Chemnitz auch gelänge!
Der Kreiselternrat!